Hörsaal – Präsentation 2 13. Oktober (18:30 – 20:00)

“Das Verkörperte Selbst in der Philosophie und im Leben”
mit Shaun Gallagher und Christine Caldwell

Muster des verkörperten Selbst in therapeutischen Kontexten

Im ersten, theoretischen Teil dieser Präsentation beziehe ich den Begriff des verkörperten Selbst auf die Mustertheorie des Selbst. Nach der letzteren sind spezifische verkörperte Erfahrungen und Fähigkeiten Aspekte eines größeren Musters, das das Selbst ausmacht. Das größere Muster umfasst kognitive, narrative und soziale Faktoren, aber verkörperte Erfahrungen von Eigentum und Urheberschaft sind grundlegende Aspekte des so genannten “minimal” Selbst. Im zweiten Teil der Präsentation werde ich den Begriff des verkörperten Selbst auf therapeutische Kontexte beziehen, insbesondere in Bezug auf Angst und Probleme in der Identitätserfahrung, indem ich neural-basierte Therapien wie Deep Brain Stimulation anwende. Ich werde für ein Konzept ganzheitlicher Therapie im Gegensatz zu einer “engen” Therapie argumentieren, die nur auf einen Aspekt des Selbst zielt.

Shaun Gallagher

Shaun Gallagher ist Moss Professor of Excellence am University of Memphis (USA); Professorial Fellow an der University of Wollongong (AU). Honorary Professor am Copenhagen; Durham und Tromsø (NO). Für seine internationalen Forschungsarbeiten in Philosophie und Kognitionswissenschaften hat Shaun Gallagher den Anneliese Maier-Forschungspreis (2012-17) der Humboldt-Stiftung erhalten. Publikationen (Auswahl): Phenomenology (2012); The Phenomenological Mind (2008), Brainstorming (2008); How the Body Shapes the Mind (2005). Seit 2001 ist Herausgeber der Zeitschrift Phenomenology and the Cognitive Sciences.

Atem, Gefühl, und besonders Bewegung: eine phänomenologische Untersuchung verkörperter Psychotherapie

Die Körperpsychotherapie (KP) leitet einen grossen Teil ihrer Weltsicht von der Philosophie ab. Weil die Philosophie versucht, die Natur von Körper und Bewusstsein, von Gefühlen, Menschlichkeit und so weiter zu verstehen, kann diese Verbindung für uns in der Klinik nützlich sein, um unseren Standpunkt und unsere Grundhaltung verkörperter Erfahrung auszudrücken. Shaun Gallagher ist einer der wenigen Philosophen des 21. Jahrhunderts, der in seiner Forschung darüber, wie der sich bewegende, fühlende Mensch sich in seiner Welt zurechtfindet, unsere Arbeit bestätigt. Gallagher lehrt, dass sensorisch-motorische und affektive Prozesse die Art, wie wir denken, wahrnehmen, und mit andern interagieren, entscheidend formen. Er nennt dies ‘enaktive Kognition’. Wie verstehen wir enaktive Kognition in der KP? Eine Möglichkeit wäre, Gallagher’s Sicht darüber, wie Lernen durch Verkörperung geschieht, zu verstehen, und die KP als eine Form von Lernen zu sehen. Wenn wir auch noch Bindungstheorie dazu nehmen, können wir KP als kontinuierliche Verarbeitung von Bewegungen sehen, die eine Verschiebung ermöglicht in der Haltung des Selbst zu seiner Erfahrung. Wie wir Sinn finden in unseren Erfahrungen verschiebt sich, weil wir uns anders bewegen – weil bewegen sowohl körperliches Agieren und gesündere Sinnfindung ist.
Gestützt auf die Traditionen der KP und das Konzept des Mobilitätsgradienten, können wir nunmehr die Idee einer verkörperten Gedankenwelt in die Psychotherapie ausweiten. Das Konzept des Mobilitätsgradienten verwendet Phylogenie und Ontogenie zur Kategorisierung von Bewegungen auf einem Kontinuum von Starre zu voller Beweglichkeit. Zu verstehen, wo unsere Klienten liegen auf diesem Kontinuum kann nützlicher sein als bisherige Behandlungsmodelle. Bewegung is vielleicht unser vereinigendes Feld – ob sie nun willkürlich als mental, emotional, oder körperlich kategorisiert wird – alle Bewegungen bilden ein ineinander gewebtes Ganzes. KP hilft demnach nicht nur, auf einer lokalen Ebene Bewegungen zu funktionalisieren (zum Beispiel die Fähigkeit nach etwas zu reichen oder wegzustossen), sondern funktionalisiert auch die Beziehung zwischen verschiedenen Arten von Bewegungen (zum Beispiel im Erschaffen von mehr Konsonanz zwischen der Bewegung des Denkens und der Bewegung des Fühlens). Diese phänomenologische und klinische Betrachtungsweise ist nützlich um neue Möglichkeiten zu eröffnen.

Christine-Caldwell

Christine Caldwell, Ph.D., BC-DMT, LPC, NCC, ACS.
Gründerin und ehemalige Direktorin des Programmes für Somatische Beratungspsychologie (Somatic Counseling Psychology Program) und Dekan der Postgraduierten Ausbildung an der Universität Naropa in Boulder, wo sie zur Zeit unterrichtet, in den Fächern Theorie und Praxis der Somatischen Beratung, Klinische Neurowissenschaft, Forschung und Interkulturelle Themen.
Ihre Arbeit begann vor fünf und dreißig Jahren mit dem Studium der Anthropologie, Tanztherapie, Therapeutische Körperarbeit und Gestalttherapie und hat sich mit Innovationen im Bereich der Körperzentrierten Psychotherapie weiterentwickelt.
Sie nennt ihr Werk “The Moving Cycle”. Dieses System bewegt sich jenseits der Begrenzungen von Therapie und betont die lebenslängliche persönliche und soziale Entwicklung, durch das Vertrauen und Befolgen der Körperzustände. “Moving Cycle” focussiert auf das natürliche Spielen, auf die frühen physischen Prägungen, auf die transformative Wirkung vollständig sequenzierter Bewegungsprozesse, auf die Praxis des Sterbens, auf die Möglichkeiten, welche in der Sucht enthalten sind und auf das Vertrauen in die persönliche Essenz.
Sie hat unterrichtet an den Universitäten University of Maryland, George Washington University, Concordia, Seoul Women’s University, Southwestern College και Santa Barbara Graduate Institute und ist international als Ausbildnerin und Lektorin tätig.
Ihre schriftstellerische Tätigkeit beinhaltet die Bücher: Getting Our Bodies Back und Getting In Touch.